Der für seinen doppeldeutigen Humor bekannte Komiker Groucho Marx wurde in einem Film gefragt: „Groucho, how is your wife?“. Seine Antwort: „Compared to what?“. Was bei einer Frage nach dem Wohlbefinden der Ehefrau komisch anmutet, ist in der wissenschaftlichen Praxis und der Beurteilung klinischer Studien eine zentrale Frage. Womit soll der Vergleich durchgeführt werden? In diesem Artikel beschäftigen wir uns mit einem speziellen Studientypen, der Fall-Kontroll-Studie. Bei diesem Studientypen werden Fälle „vergleichbare“ Kontrollen zur Seite gestellt. Über die Kontrollgruppe schätzt man die Expositionshäufigkeit in der zugrunde liegenden Population. Ist die Kontrollgruppe schlecht gewählt, so führt dies nicht nur zu falschen Schlüssen, es kann im medizinischen Bereich dadurch sogar Schaden entstehen. An einigen Beispielen zeigen wir Ihnen, wie man die Kontrollen bei diesem Studientypen auswählen sollte. Eine wichtige Maßzahl in Fall-Kontroll-Studien ist die Odds Ratio, (oder Chancenverhältnis). Wir demonstrieren außerdem, wie man diese Maßzahlen Schritt für Schritt berechnet und interpretiert.
Die Auswertung von Fall-Kontroll-Studien ist allerdings nur ein Beispiel von vielen für unsere zahlreichen Leistungen im medizinischen Bereich. Unsere Leistungen reichen z.B. von der Planung des Studiendesigns bis zur Auswertung und Berichterstellung in klinischen Studien und klinischer Forschung. Nehmen Sie Kontakt mit uns auf!
Dieser Artikel beantwortet folgende Fragen:
- Was versteht man unter Fall-Kontroll-Studien?
- Welche Unterschiede bestehen zwischen einer Fall-Kontroll-Studie und einer Kohortenstudie?
- Wie werden die Kontrollen ausgewählt?
- Wie werden Fall-Kontroll-Studien ausgewertet?
- Was versteht man unter Odds Ratio?
- Wie wird das Odds Ratio interpretiert?
Wer? Wie? Was? – Die Fall-Kontroll-Studie gegenüber der Kohortenstudie
Die Fall-Kontroll-Studie zählt zu den epidemiologischen Studien. Bei diesem Studientyp wird der Zusammenhang zwischen einem Ereignis (in der Regel eine Krankheit) und der Exposition gegenüber einem Risikofaktor untersucht. Sie sind nicht interventionell, d.h. das Ereignis wird beobachtet und nicht experimentell beeinflusst. Die Beobachtung in Fall-Kontroll-Studien findet also rückwirkend satt; der Fachbegriff dafür lautet retrospektiv. Zunächst ist die Gruppe der Fälle bekannt, anschließend werden geeignete Kontrollen ausgewählt und schließlich wird bei beiden Gruppen rückwirkend die Exposition gegenüber festgelegter Risikofaktoren erhoben. Dadurch eignet sich dieser Studientyp besonders für die Untersuchung seltener Erkrankungen oder Erkrankungen mit sehr langer Expositionsdauer.
Eine Kohortenstudie als alternative epidemiologische Studienart würde dagegen enorme Teilnehmerzahl und /oder einer sehr langen Beobachtungszeit benötigen. Der grundlegende Unterschied besteht darin, dass in einer Fall-Kontroll-Studie Fälle und Kontrollen einbezogen werden. Bei einer Kohortenstudie dagegen wird eine Gruppe von Personen eingeschlossen, bei denen die Erkrankung noch nicht eingetreten ist und in einem festgelegten Zeitraum beobachtet. Eine Kohortenstudie zählt daher zu den prospektiven Studientypen.
Weitere Aspekte zur Studienplanung finden Sie in unserem 9-Schritte Plan.
Jedem Topf seinen Deckel – Die Auswahl der Kontrollen einer Fall-Kontroll-Studie
Das Besondere an der Fall Kontroll-Studie ist die Auswahl der Beobachtungseinheiten. Zunächst liegen die Fälle vor. Im nächsten Schritt müssen dann passende Kontrollen gefunden werden. Dabei ist das Wort „passend“ sehr tückisch: Was heißt passend?
- Zuerst einmal müssen die Kontrollen frei von der Zielerkrankung sein.
- Kontrollen müssen diejenigen repräsentieren, die unter einem Risiko stehen, die Zielerkrankung zu entwickeln oder zu erleiden.
- Kontrollen müssen außerdem unabhängig von der interessierenden Exposition ausgewählt werden.
Mithilfe dieser drei Kriterien soll sichergestellt werden, dass es zu keiner systematischen Verzerrung (Bias) der Ergebnisse kommen.
Die Zuordnung von Kontrollen wird als Matching bezeichnet. Dabei unterscheidet man zwischen Gruppen Matching und individuellem Matching. Bei ersterem werden die Kontrollen so ausgewählt, dass die Häufigkeit von Personen mit bestimmten Matchingfaktoren in der Kontrollgruppe der Häufigkeit in der Fall-Gruppe entspricht. Im individuellen Matching wird dagegen jedem Fall eine oder mehrere Kontrollpersonen zur Seite gestellt, die dieser Person in Bezug auf die Matchingfaktoren gleichen.
Dies ist eine Besonderheit von Fall-Kontroll-Studien. Im Rahmen einer Kohortenstudie dagegen werden die Zuordnungen zu Fall- und Kontrollgruppe im Studienverlauf vorgenommen. Die Zuordnung geschieht dann anhand der Entwicklung der Zielkrankheit.
Monogamie oder Polygamie? – Wie viele Kontrollen pro Fall?
Bei einem individuellem Matching wird jedem Fall genau eine Kontrolle zugeordnet. Dies ist jedoch nur bei den wenigsten Studien machbar oder effizient. Wenn die Kosten für Fälle und Kontrollen etwa gleich hoch sind, so sind gleiche Gruppengrößen sehr effizient, falls ohne Matching gearbeitet wird. Oft ist aber zum Nachweis geringer Effekte eine Reduzierung der Streuung notwendig. Hierzu kann die Fallzahl in der Kontrollgruppe erhöht werden.
Bei einigen Fragestellungen liegt nur eine geringe Anzahl an Fällen vor, die nicht gesteigert werden kann. Beispielsweise untersuchten Henderson et al. Leberkarzinom bei jungen Frauen in Los Angelos. Insgesamt konnten 11 Fälle in 5 Jahren beobachtet werden. Eine ähnlich kleine Kontrollgruppe könnte niemals zum Nachweis von Risikofaktoren dienen.
Allerdings bedingt eine Steigerung der Kontrollgruppengröße nicht eine grenzenlose Erhöhung der Power einer Studie. Als Faustregel gilt, dass die Größe der Kontrollgruppe höchstens viermal die der Fallgruppe beträgt. Jede weitere Steigerung führt dann nicht mehr zu einem Effizienzgewinn.
Auswertung von Fall-Kontroll-Studien
Neben der Auswahl der Kontrollgruppe ist die Auswertung von Fall-Kontroll-Studien ein interessantes Thema. Die Exposition wird jeweils zwischen den beiden Gruppen Fälle und Kontrollen miteinander verglichen.
Dies führt zu folgender vier Felder Tafel:
Fälle | Kontrollen | Gesamt | |
Exponiert | F1 | K1 | N1 |
Nicht exponiert | F0 | K0 | N0 |
F | K | N |
Ein Gläschen in Ehren…. – Beispiel Fall-Kontroll-Studie ohne Matching
Zwischen Januar 1972 und April 1974 wurden 200 Männer mit Speiseröhrenkarzinom in einem französischen Departement registriert. Demgegenüber stehen 775 Kontrollen ohne Speiseröhrenkarzinom, die aus Wahllisten des Departements erhoben wurden.
Fälle | Kontrollen | Gesamt | |
Exponiert (Alkohol > 80g / Tag) | 96 (F1) | 109 (K1) | 205 (N1) |
Nicht exponiert (Alkohol <= 80g / Tag) | 104 (F0) | 666 (K0) | 770 (N0) |
200 (F) | 775 (K) | 975 (N) |
Die Chancen (engl. odds) für Exposition ergeben sich für einen Fall als F1/F0 = 96/104 = 0,923 und für eine Kontrolle als K1/K0 = 106/666 = 0,164.
Das Chancenverhältnis oder Odds Ratio berechnet sich als Quotient der Odds eines Falls und der Odds einer Kontrolle als 0,923/0,164 = 5,64
Das bedeutet, die „Chance“ an Speiseröhrenkarzinom zu erkranken ist für Exponierte, d.h. bei hohem täglichen Alkoholkonsum 5,64 mal höher als bei nicht exponierten Männern.
In einer Kohortenstudie bzw. im logistischen Modell wird das Odds Ratio ebenfalls auf diese Weise berechnet.
Auswertung mit SPSS
Dazu müssen zunächst die Daten eingegeben werden und mit den absoluten Häufigkeiten eine Gewichtung durchgeführt werden.
Anschließend führt man eine logistische Regression durch. Dazu wählt man im Menü Analysieren – Regression – binär logistisch. Als Zielvariable oder abhängige Variable wird dann die Gruppe eingegeben, als unabhängige Variable Exposition ja/nein.
Die Bestätigung mit OK führt schließlich zur Ausgabe. Dabei beinhaltet die letzte Tabelle die Berechnung der Odds Ratio.
Das Odds Ratio an Speiseröhrenkrebs zu erkranken bei Exposition gegenüber Nicht-Exposition ist in der Spalte Exp(ß) abzulesen. Sie beträgt 5,640. Die Odds Ratio unterscheidet sich signifikant von Null (p < 0,001, s. Spalte Sig.).
Auswertung mit R
Die Auswertung in R erfolgt mittels folgender Eingaben:
faelle<-c(96,109)
kontrolle<-c(104,666)
exposure<-c(1,0)
logreg <- glm(cbind(faelle,kontrolle)~exposure,family=binomial)
summary(logreg)
Und liefert die folgenden Ergebnisse:
Das Odds Ratio erhält man, indem man über Regressionskoeffizienten der Variable exposure als exp(1,7299) = 5,640
Berechnung der Odds Ratio bei individuellem Matching
Führt man Fall-Kontroll-Studien mit individuellem Matching durch, so müssen die Paarbildungen bei der Auswertung berücksichtigt werden. Jeder Fall wird mit seiner Kontrolle vergleichen. Dadurch ergibt sich folgende vier Felder Tafel:
Kontrolle | |||
exponiert | Nicht exponiert | ||
Fall | exponiert | a | b |
Nicht exponiert | c | d |
So wird in Zelle a die Anzahl der Fall Kontroll Paare eingetragen, bei denen sowohl die Kontrolle als auch der Fall dem Risikofaktor ausgesetzt waren. Wird jedem Fall genau eine Kontrolle zugeordnet, so vereinfacht sich die Schätzung der Odds Ratio zu OR=b/c. Diese Größe wird auch McNemar Schätzer genannt. Nur die Häufigkeiten der diskordanten Paare gehen in die Schätzung des Odds Ratio ein.
Beispiel individuelles Matching
Das Hodkin Lymphom ist ein bösartiger Tumor des Lymphsystems. In einer Fall-Kontroll-Studie wird die Beziehung zwischen dem Auftreten des Hodgkin Lymphoms und Tonsillektomie (Entfernung der Mandeln) untersucht. Dabei wurden 85 Fall-Kontroll Paar gebildet:
Kontrolle | |||
Tonsillektomie | Keine Tonsillektomie | ||
Fall (Morbus Hodgkin) | Tonsillektomie | 26 | 15 |
Keine Tonsillektomie | 7 | 37 |
Das geschätzte Odds Ratio ist also OR = 15/7 = 2,14. Das bedeutet, dass die „Chance“, an Morbus Hodgkin zu erkranken für Beobachtungen mit Tonsillektomie doppelt so hoch ist im Vergleich zu Beobachtungen ohne Tonsillektomie.
Ignorieren von Matching?
Was passiert, wenn man individuelles Matching in der Auswertung ignoriert? Die Kontrollen werden in diesem Fall nicht mit ihren Fällen verglichen. Die Gruppe der Kontrollen wird der Gruppe der Fälle gegenübergestellt. In diesem Fall erhält man eine vier Felder Tabelle in der Form
Fälle | Kontrolle | |
Tonsillektomie | F1 = a+b = 41 | K1 = a+c = 33 |
Keine Tonsillektomie | F0 = c+d = 44 | K0 = b+d = 52 |
Der Schätzer für das Odds Ratio beträgt in diesem Fall OR = (F1/F0) / (K1/K0) = (F1*K0) / (F0*K1) = (41*52) / (44*33) = 1,458.
Dieser Wert ist deutlich keiner als das Odds Ratio für gematchte Fall Kontroll Studien. Eine Nicht-Beachtung des Matchings führt also zur Unterschätzung des Effekts.
Zusammenfassung
Fall-Kontroll-Studien werden in epidemiologischen Fragestellungen oft verwendet. Sie kommen insbesondere dann zum Einsatz, wenn die Zielerkrankung selten ist. Fall-Kontroll-Studien sind retrospektiv, die Kohortenstudie prospektiv. Besonderes Augenmerk in der Fall-Kontroll-Studie ist dabei auf die Auswahl der Kontrollen zu legen. Ungeeignete Kontrollgruppen führen zu verzerrten Ergebnissen (Bias) und falschen Schlussfolgerungen. Bei der Auswahl der Kontrollen wird vielfach ein Matching Ansatz verwendet. Dabei werden die Kontrollen nach gewissen Kriterien ausgewählt.
Für die Auswertung ist das Odds Ratio oder Chancenverhältnis eine zentrale Kenngröße. Auch für die Berechnung dieser Maßzahl muss das Studiendesign berücksichtigt werden.
Gerne helfen wir Ihnen bei der Planung und Auswertung ihrer Studie. Nehmen Sie Kontakt mit uns auf.
Weiterführende Quellen:
- Schulz KF, Grimes DA. Unequal group sizes in randomised trials: guarding against guessing. Lancet 2002;359: 966–70.
- Henderson BE, Preston-Martin S, Ed- mondson HA, Peters R, Pike MC. Hepa- tocellular carcinoma and oral contra- ceptives. Br J Cancer 1983;48:437–40.
- Beispiel Diclofenac und Placebo
- Verglichen womit? – Kontrollen für Fall Kontroll Studien finden
- Kreienbrock, Lothar, Pigeot, Iris, Ahrens, Wolfgang: Epidemiologische Methoden